Wie beeinflusst die Digitalisierung das gesellschaftliche Engagement? Wie kann die Digitalisierung gesellschaftliches Engagement befördern? Welche Gefahren lauern dabei am Wegesrand? Und: Ist die Vernetzung vieler Einzelner im Internet um gemeinsam etwas Gewichtiges zu schaffen nicht eigentlich ein zutiefst genossenschaftlicher Ansatz?
Wir sprachen mit dem Johnny Haeusler, dem Mitbegründer der re:publica, Europas größter Konferenz zum Thema Digitalisierung und Gesellschaft, über Chancen, Aussichten und Grenzen des digitalen Miteinanders.
Als Mitbegründer re:publica bringen Sie tausende Menschen zusammen. Die Teilnehmerzahlen wachsen von Jahr zu Jahr. Dürstet die digital vernetzte Gesellschaft nach echter Zusammenkunft?
Einer meiner Lieblingsmusiker, der 2002 viel zu früh verstorbene Joe Strummer von The Clash, prägte den Satz „Without people, you’re nothing“ – ohne Menschen sind wir nichts. Und das gilt ja auch für Technologien: Ohne Menschen sind sie wertlos. Es braucht dabei nicht nur Menschen, die Technologien nutzen. Sondern es braucht Menschen, die Technologien einen Sinn verleihen. Zudem bedeuten virtuelle Welten nun einmal die Abwesenheit von allem Körperlichen. Kommunikation im Netz ist unvollständig. Es fehlen Mimik und Gestik. Das wird bei Online-Debatten oft vergessen. Spätestens aber bei einer re:publica werden wir daran erinnert, wie wichtig das Körperliche in der Kommunikation ist.
Ganz bewusst spielen auf der re:publica gesellschaftliche Themen eine herausgehobene Stellung. Wie wichtig ist der Transfer von der virtuellen Welt hin zu konkreten gesellschaftlichen Bedarfen?
Für mich ist dies das Herz der re:publica. Es ist der Grund, warum ich diese Konferenz mitgegründet habe. Ich bin kein Akademiker, ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, meine Eltern hatten und haben nicht einmal einen Schulabschluss. Aber sie waren immer politisch interessiert. Beide Elternteile haben mich zu Anstand, Freundlichkeit und dem konstanten Bemühen um Gerechtigkeit erzogen, aber auch zu einem gewissen Misstrauen geenüber jeder Form von Autorität. Schon sehr früh hat mich die große Frage bewegt: Wie kann eine für alle gerechte Welt aussehen? In was für einer Welt möchten wir leben? Für mich ist die re:publica auch die Suche nach Antworten auf diese Fragen.
Nicht erst das Internet hat uns doch gelehrt: Alles hängt miteinander zusammen. Nichts ist einseitig. Die Annehmlichkeiten der digitalen Kommunikation bedeuten auf der anderen Seite mehr Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten. Die großartigen Chancen für die Menschheit durch Big Data und Künstliche Intelligenz können auch in einem Desaster münden, wenn wir nicht frühzeitig gemeinsam Regeln für die Nutzung aufstellen.
Wir befinden uns da gerade in einer wirklich wichtigen Phase der Digitalisierung. Denn: Künstliche Intelligenzen müssen zunächst mit Daten gefüttert werden, um dann rechnen und lernen zu können. Dies können wir noch steuern. Das spätere Lernen der Maschinen und vor allem die Schlüsse und Entscheidungen dann aber kaum noch.
Die re:publica erfüllt hier mehrere Funktionen: Sie vermittelt Wissen, Erkenntnisse und Meinungen. Zugleich bietet sie ein Forum für die Diskussionen darum.
Dennoch verharrt das Engagement vieler Nutzer etwa in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke. Wie kann es gelingen, dass der Austausch kein Selbstzweck ist, sondern auch gesellschaftlichen Nutzen stiftet?
Nach einigen pessimistischen Jahren, ausgelöst durch den Aufstieg rechtsextremer Parteien und ihren Missbrauch digitaler Kommunikationsstrukturen, bin ich wieder hoffnungsvoller. Nach einer gewissen Schockstarre derer, welche die Demokratie für unangreifbar gehalten haben, ahne ich eine Trendwende hin zum konstruktiven Aktivismus. Das sehen wir bei #Fridays4Future und der Urheberrechtsdebatte, die ihren Drive vor allem durch junge YouTube-Kanäle erlangt hat, aber auch durch die Großdemonstrationen aller Generationen, die unter dem Motto #unteilbar stattgefunden haben.
Ich glaube, die große Mehrheit der hier lebenden Menschen will keine Politik, die auf Ausgrenzung, Feindseligkeit oder allein auf der Basis der wirtschaftlichen Interessen von Konzernen beruht. Sie will Antworten auf wichtige Fragen und konkretes Handeln in Bezug auf die drängenden, weltweiten gesellschaftlichen Herausforderungen etwa in Sachen Klimakatastrophe. Und sie äußern ihre Anliegen immer lauter, auch online, indem sie sich einmischen, oder widersprechen bei Unsinn, der verbreitet wird. Dabei entsteht ein Sogeffekt: Wenn ich spüre, dass ich nicht alleine bin, fällt es mir leichter, mich zu engagieren. Ich habe auch das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen gegen hasserfüllte oder manipulierende Online-Äußerungen stellen – im Moment ist das nur ein Gefühl. Aber es ist ein gutes.
2017 lautete das Motto der re:publica „Love Out Loud“. Das hat uns gut gefallen. Sollte dies nicht auch als zeitloser Appell verstanden mehr füreinander und weniger gegeneinander im Netz zu agieren?
Das sollte es und das kann es auch gerne, denn es schadet niemandem. Aber wir wissen natürlich auch alle spätestens seit der Hippie-Bewegung der 60er Jahre, dass es nicht genügt, „Liebe und Frieden“ auszurufen.
Der Kampf gegen das Gegeneinander kann nicht allein mit dem Wunsch nach mehr Liebe und Verständnis gewonnen werden – vorhanden sein sollte er dennoch – sondern mit gelebter Solidarität. Und zwar auch mit vorgelebter, durch Eltern, Lehrkräfte, Sportler*innen, Politik und Medien.
Begriffe wie „Solidarität“ oder „Solidaritätsprinzip“ hört man in der politischen Landschaft seit längerer Zeit leider eher selten. Es gibt junge Leute, denen man diese Prinzipien völlig neu erklären muss.
Ein neues Format innerhalb der re:publica war in diesem Jahr die speziell an Teenager adressierte Konferenz TINCON - teenageinternetwork convention. Warum wählen Sie für die junge Zielgruppe der 13- bis 21-Jährigen diese gesonderte Form der Ansprache?
Nachdem meine Frau Tanja Haeusler und ich mit unserem Elternratgeber „Netzgemüse“ zwischen 2013 und 2014 auf Lesereisen hauptsächlich vor Erwachsenen gesprochen haben, denen wir die Online-Welten ihrer Kinder nahebringen wollten, wurde uns klar, dass wir die Geschichte von der falschen Seite angehen. Viele Erwachsene waren oft voller Sorge, forderten Verbote für bestimmte Bereiche des Internet und dachten, damit wären alle Herausforderungen erledigt. Währenddessen aber wuchs eine ganze Generation in einer digitalen Welt auf, in der ihnen niemand zur Seite stand. Sowohl Schulen als auch Eltern waren überfordert. Gleichzeitig wuchs in der digitalen Jugendkultur so viel Tolles, Irres, Kreatives heran, das unserer Meinung nach mehr Öffentlichkeit verdient hatte.
Also dachten wir, es wäre eine gute Idee, den Jugendlichen selbst ein Forum zu geben und ihnen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Wir wollten einen Ort kreieren, an dem die junge Generation einerseits aus erster Hand vom Wissen anderer profitieren, andererseits aber auch selbst ihre digitale Kultur feiern und diskutieren kann. Damit war die Idee einer Art „re:publica für Teenager“ geboren.
Genossenschaften wie die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind ja vor über 160 Jahren so entstanden, dass viele kleine Handwerker sich zusammengeschlossen haben, weil sie sich alleine nicht mehr zu helfen wussten und um gemeinsam Größeres zu schaffen. In der digitalen Welt nennt man dies heute Crowdfunding. Sind Crowdfunding-Plattformen die Genossenschaften von morgen?
Das Internet und digitale Werkzeuge machen solche Zusammenschlüsse heutzutage natürlich wesentlich leichter als noch vor 160 Jahren! Echte Genossenschaften im juristischen Sinne lassen sich ja noch nicht via Crowdfunding gründen. Crowdinvesting ist aber sicher ein erster Schritt in diese Richtung. Es gibt aber ja auch so viele tolle Beispiele für großartige Crowdfunding-Projekte. Dennoch gebe ich zu, dass ich die Entwicklung manchmal etwas skeptisch betrachte. Denn häufig wird Crowdfunding auch als Ersatz für zinslose Darlehen für die Produktentwicklung genutzt. Ein Produkt wird angekündigt, Käufer*innen zahlen im Voraus noch vor der Herstellung und sollen nach der Produktion als Erste beliefert werden. In der Praxis kommt es dabei nicht selten zu teilweise jahrelangen Verschiebungen bei der Auslieferung oder gar zur völligen Einstellung der Aktion ohne das versprochene Produkt.
Generell bin ich aber Anhänger der Idee „Zusammenschluss vieler Kleiner für etwas Größeres“. „Power to the people“, um es mit einem weiteren musikalischen Zitat zu sagen.