Die Volksbank Münsterland Nord eG öffnet die Türen ihres repräsentativen Forums an ihrem Hauptsitz, um dort bis zur bevorstehenden Restaurierung 2024 ein Kinder-Jugend-Kulturhaus wachsen und wirken zu lassen. Bei über 50 Angeboten können sich hier Kinder und Jugendliche seitdem mitten in der Stadt zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern austoben, erproben und ihre kreativen Kenntnisse erweitern. Das strahlt, leuchtet, macht Spaß. Zugleich passt diese Form der kreativen Zwischennutzung perfekt zur genossenschaftlichen Idee einer „Bank zum Mitmachen“.
Auf den ersten Blick wirkt die große Halle recht chaotisch. Auf einer Bühne üben zwei Jungs ihren Deutschrap, nebenan in einem kleinen, durch Trennwände gebauten Raum – dem Kinder-Jugend-Kulturamt – sitzen zwei Kindergartenkinder und suchen an einem Laptop nach Malschulen. Hinten in einer Ecke starten eine Künstlerin und ein Künstler mit einer Gruppe Jugendlicher ein Filmprojekt und draußen vor der Tür lernen Acht- bis Zehnjährige, wie sie mit einfachen Schablonen und Sprühdosen Graffitis machen können. Es ist laut, aber auf eine besondere, angenehme, hochkreative Art.
Kultur probieren!
Das vermeintliche Chaos entpuppt sich so schnell auch als planvolle Aktion. Im Kinder-Jugend-Kulturhaus mitten in der Innenstadt von Münster dürfen sich Kinder und Jugendliche neun Tage lang kostenlos und oft spontan in den unterschiedlichsten Kulturaktivitäten ausprobieren. Begleitet werden sie von rund 60 professionellen Künstlerinnen und Künstlern, die ihnen in mehr als 50 Angeboten ihre Kunst und die damit verbundenen Arbeitsweisen nahebringen. Die Kids tanzen und spielen Theater, programmieren Beats und probieren Gitarren auf vielfältige Weise aus, machen Fotoexpeditionen und eben Graffitis. Diese Kunst bringt Marcus Kobert einer Gruppe bei, die sich hier heute zusammengefunden hat. „Leo, du kannst deinen Namen als Schriftzug malen und dann ausschneiden“, erklärt der Künstler einem Jungen, der neben ihm auf der Bank sitzt. Kobert läuft von Kind zu Kind, gibt Hinweise, hilft manchmal beim Schneiden und führt die Gruppe anschließend zu einer weißen Papierwand, die auf zwei Bauzäunen aufgezogen ist. Dort bringen die Kinder kleine Leinwände an, auf die sie ihre Schablonen kleben. Mit der Lackdose sprühen sie Farbe auf, fertig ist das Bild. „Das sieht richtig cool aus“, sagt Leo, der als Erster fertig ist.
Vermittlung auf Augenhöhe
Die Kinder selbst kreativ werden lassen, sie aber dabei gleichzeitig durch gestandene Künstlerinnen und Künstler auf ihrem Weg zu begleiten, ist eines der Grundprinzipien des Kinder-Jugend-Kulturhauses. „Wir wollen ihnen auf Augenhöhe begegnen“, nennt Cornelia Kupferschmid ein weiteres Anliegen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen David Gruschka vom echtzeit-theater leitet die Schauspielerin und Regisseurin das Projekt. Beide gehören zum Kinder-Jugend-Kulturhaus Münster e. V., dessen Künstlerinnen und Künstler das Konzept entwickelt haben. Es soll keine Sozialarbeit oder Jugendhilfe ersetzen, sondern echten Austausch auf künstlerischer Ebene ermöglichen.
Entstanden ist das Kinder-Jugend-Kulturhaus dabei im Grunde aus einem Mangel. Die Kinder- und Jugendtheaterszene in Münster ist sehr engagiert. Verschiedene Gruppen konzipieren und organisieren Proben und Auftritte, die zum Teil weit über die westfälische Stadt hinauswirken. „Uns fehlen aber dennoch oft – neben Auftrittsmöglichkeiten, Proben- und Lagerräumen für Bühnenbilder und Requisiten – Orte, an denen wir unsere eigene künstlerische Tätigkeit nah an unserer Zielgruppe entwickeln, dieser begegnen und sie in Prozesse einbinden können“, erzählt Cornelia Kupferschmid. „Dies kann beispielsweise ein gemeinsamer Ideenaustausch sein, eine künstlerische Recherche oder auch eine öffentliche Probe.“ Die Nachfrage zum Beispiel von Kindergärten oder Schulen nach Workshops und künstlerischer Teilhabe ist riesig. Das gilt aber nicht nur für das Theaterspielen, macht die Schauspielerin und Regisseurin sofort klar. Kunst und Kultur ist vielfältiger als das. Seit Jahren vernetzt sie sich deswegen auch mit anderen Kulturschaffenden, die gemeinsam und interdisziplinär nach Lösungen suchen.
Wichtig dabei: Kultur soll nicht nur im Stadtzentrum stattfinden, sondern auch in den äußeren Stadtteilen, wo in Münster auch Menschen mit Migrationserfahrung leben, die oft keinen Bezug zu den klassischen Kultureinrichtungen haben, macht Cornelia Kupferschmid klar. Auf der anderen Seite lässt sich im Stadtzentrum ganz klar ein Mangel an – nicht nur kulturellen – Angeboten für junge Menschen ausmachen. Ziel ist, einen zentralen Standort mit den äußeren Stadtteilen zu vernetzen.
Kinder-Jugend-Kulturhaus im VolksbankForum
Das Angebot der Volksbank Münsterland Nord eG, die ihren Hauptsitz direkt gegenüber vom Theater Münster in der Innenstadt hat, kam deswegen gerade recht. Das rund 1.000 Quadratmeter große VolksbankForum, in dem das Kinder-Jugend-Kulturhaus seinen Platz gefunden hat, wurde zu Beginn der Corona-Pandemie genutzt, um pandemiesichere Beratungsbüros zu schaffen. Ab 2024 soll es, genauso wie der restliche Gebäudekomplex, saniert werden. Bis dahin lässt die Bank die Räume nicht leer stehen, sondern nutzt sie für interne Veranstaltungen oder auch Kunstausstellungen in Zusammenarbeit mit der Kunstakademie Münster. Außerdem vergibt sie diese an Kulturinitiativen zur Zwischenraumnutzung. „Ich bin mehrfach in der Woche hier und schaue mir das Kinder-Jugend-Kulturhaus an. Wenn ich die leuchtenden Kinderaugen sehe und die Kreativität, die sich hier entfaltet, dann weiß ich, dass wir genau die richtige Entscheidung getroffen haben“, sagt Thomas Jakoby. Der Vorstand der Bank ist an diesem Nachmittag kurz aus seinem Büro herübergekommen. Interessiert fragt er Cornelia Kupferschmid nach dem neuesten Stand des Projekts. Wichtig ist für ihn, dass es dabei um kulturelle Bildung geht. „Wir leben in einer Bildungs- und Wissensgesellschaft, in der jeder sehr viel lernen muss. Dabei gehen wir aber oft nicht weit genug: Die kulturelle Bildung kommt viel zu kurz“, sagt Jakoby. „Sie ist aber entscheidend dafür, dass sich junge Menschen zu Persönlichkeiten entwickeln.“
„Bank zum Mitmachen“
Das Kinder-Jugend-Kulturhaus ist für ihn zudem ein gutes Beispiel dafür, wie die Bank ihr Engagement für die Region definiert. „Wir verstehen uns als Bank zum Mitmachen, so wie es schon in den Grundlagen der Genossenschaften angelegt ist“, sagt Thomas Jakoby, dessen Bank jährlich rund 300.000 Euro für Projekte und Initiativen in den Bereichen Sport, Soziales, Kultur und Wissenschaft als Spenden aufbringt. „Deswegen freuen wir uns umso mehr, dass wir diesen Raum für so ein Projekt, bei dem viele unterschiedliche Menschen zusammenkommen, bereitstellen können.“
Für Cornelia Kupferschmid ist ein Raum wie der von der Volksbank ein Glücksgriff. „Wir können ihn frei gestalten und auch immer wieder andere Aktive einladen“, sagt sie. So kommen zum Beispiel Jugendtheatergruppen aus der Stadt, um einzelne Proben dort abzuhalten. Wichtig ist der Organisatorin auch, dass das Projekt barrierefrei ist und in allen Sprachen funktioniert. Einige Angebote kommen sogar ganz ohne Sprache aus, bei Sprachdarbietungen wie Theaterstücken wird ein Gebärdendolmetscher engagiert.
Das Kinder-Jugend-Kulturhaus hatte im Sommer 2022 zum ersten Mal geöffnet. Damals hatten die Organisatorinnen und Organisatoren eine Spende von 20.000 Euro von einem Ehepaar bekommen, vermittelt über die Stiftung Bürger für Münster. Die Summe bildete das Eigenkapital, um beim Bundesprogramm Neustart Kultur 80.000 Euro Fördermittel zu erhalten. Weitere 10.000 Euro flossen über den Zentrenfonds der Stadt Münster in das Projekt, das auch von Münster Marketing unterstützt wurde. Mit noch einmal 100.000 Euro wurde auch beim zweiten Mal das Projekt gefördert. Damit konnte die Initiative, die sich mittlerweile zu einem eingetragenen Verein entwickelt hat, die beteiligten Künstlerinnen und Künstler, Materialien und Werbemittel bezahlen.
Die Künstlerinnen und Künstler des Kinder-Jugend-Kulturhaus Münster e. V. wollen weitermachen, vielleicht auch noch einmal in den Räumen der Bank, die das schon in Aussicht gestellt hat. „Junge Menschen brauchen einfach eine Stimme. Das müssen sie lernen und sich trauen, diese auch einzusetzen – und sie müssen ernst genommen werden“, sagt Cornelia Kupferschmid. Im Kinder-Jugend-Kulturhaus klappt das hervorragend. Auf der Bühne stehen am frühen Abend die beiden jugendlichen Rapper, gemeinsam mit drei Mädchen. Sie führen ein selbst entwickeltes Theaterstück auf, in dem es darum geht, die eigenen Träume zu verwirklichen. Nach der Aufführung brandet der Applaus auf, aber die Gruppe ist noch nicht fertig. Sie fragt das Publikum, welche Träume es hat. Ein Mann antwortet, er würde gerne einmal wieder ausschlafen. Und der kleine Leo, der vorher schon seinen Namen als Graffiti gesprüht hatte, sagt, er würde gerne Rapper werden. Einen Schritt dahin darf er gleich machen: Auf der Bühne legt er los, mit kleinen Sätzen, und die Rapper, zehn Jahre älter, improvisieren mit ihm. Nur durch Kreativität Altersgrenzen überschreiten und die Herkunft vergessen machen: Hier funktioniert das sofort.