Die Volksbank Weinheim macht bei ihrem Engagement die Mitglieder zu Mitstreitern. Diese verzichten im Rahmen der Aktion „Mitgliedschaft mit Herz“ auf einen Teil ihrer jährlichen Dividende zugunsten sozialer Zwecke.
Reiten? „Ja, das macht Spaß.“ Aber für Julia ist der Sport manchmal nur eine von vielen Aktivitäten, die sie hier im Reit- und Fahrverein Birkenau mag. „Ich liebe die Pferde wirklich“, sagt sie ganz leise und will im Grunde direkt weitermachen mit ihrer Lieblingsbeschäftigung: ihre Elli striegeln, putzen – und ganz viel mit ihr schmusen, denn die Nähe zu dem Tier ist für sie das Allerbeste. Mit sicheren Handgriffen nimmt sie einen Gummistriegel, fährt damit durch Ellis glänzendes schwarz geschecktes Fell, greift nach einer Wurzelbürste, streicht ein bisschen stärker und klopft immer wieder beruhigend auf die Flanken des großen Vierbeiners.
Lernen durch Interaktion
Julia und ein halbes Dutzend weiterer Kinder und junger Menschen mit Behinderungen kommen jede Woche mindestens einmal in den Stall, der ein paar Kilometer nordöstlich des baden-württembergischen Städtchens Weinheim liegt. Sie nimmt am Projekt „WegbeREITER“ teil, dessen Name durchaus in mehrfachem Sinne zu verstehen ist. „Es geht natürlich um das Reiten, aber vor allem darum, dass Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen gemeinsam mit den Pferden zusammenkommen und von dem Sport, aber vor allem von der Interaktion mit den sensiblen Tieren profitieren“, sagt Dunja Ferring-Appel. Die erste Vorsitzende des Reitvereins hat in ihrer bisher zweijährigen Amtszeit gemeinsam mit ihren Mitstreitern enorm viel angestoßen, um den 50 Jahre alten Verein fit für die Zukunft zu machen. Neben vielen Aktionen, durch die das Gelände, die Reitplätze und die Reithalle saniert werden – gerade ausgestattet mit gebrauchtem Originalsand des Pferde-Musicals „Apassionata“, das als Spende organisiert wurde –, hat sie ihren Fokus auf die Inklusion gelegt.
„Türen öffnen!“
„Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenzubringen, ganz ohne Schranken, dafür gibt es in Kindergärten und Schulen eine Menge Angebote. In der Freizeit hört das aber oft auf“, sagt die engagierte Biologin, die sich viele Stunden in ihrer Freizeit engagiert. „Wir wollen hier ganz niedrigschwellige Angebote machen, wir können ja auch keine Riesendinge leisten als kleiner Verein mit nur 111 Mitgliedern.“ Susanne Rienecker nickt.
Die zweite Vorsitzende, die ebenfalls seit zwei Jahren dabei ist, hat die Angebote mitkonzipiert. „Wir wollen die Türen öffnen und auch jungen Leuten mit Behinderungen Erfahrungen mit Pferden bieten, die zudem eine Art Brückenbauer sein können – sie nehmen die Empfindungen der Menschen genau wahr und behandeln alle gleich.“
Die Teilnehmer sollen vor allem Spaß haben und nicht unter Leistungsdruck stehen. Zu den offenen und spielerischen Angeboten, die in Kooperation mit dem Elternverein „Wir DABEI! (durch Akzeptanz Behinderung erfolgreich integrieren)“ aufgelegt wurden, gehört daher zum Beispiel das Programm „iPony“, bei dem kleine Kinder oder auch vorsichtigere Jugendliche die ersten Voltigier- und Geschicklichkeitsübungen auf dem Pferd machen können, oder „Equifit“, bei dem sich die Teilnehmer intensiver körperlich betätigen. Wenn therapeutische Zwecke verfolgt werden, können die Kinder dabei unter Anleitung einer Reittherapeutin auch ihre Kraft, Ausdauer, Konzentration, Koordination und Motorik verbessern.
Mitglieder mit Herz
Neben vielen Ehrenamtlichen braucht der Verein aber auch Materialien, die nicht billig sind. „Wir benötigten zum Beispiel eine Aufstiegshilfe mit Handlauf, damit die Kinder leichter und vor allem auch möglichst selbstbestimmt aufsitzen können, oder auch neue LEDs für die Reithalle“, sagt Dunja Ferring-Appel. Die erste Vorsitzende sprach viele Unternehmen an, auch die Volksbank Weinheim, die zunächst 500 Euro spendete. „Wir blieben weiter im Gespräch und bekamen mit, dass die Bank ihren Wettbewerb ,Mitgliedschaft mit Herz’ ausgeschrieben hat.“ Die Vereinsverantwortlichen lasen sich ein – und landeten bei dem auf mehrere Stufen aufgebauten Crowdfunding bei 2.630 Euro.
„Mitgliedschaft mit Herz“ ist ein Projekt, das das Wesen der Volksbanken und Raiffeisenbanken hundertprozentig ausdrückt: „Die Idee ist, dass die Mitglieder, die teilnehmen möchten, ihre Dividende spenden, die dann wiederum in unsere Volksbank-Weinheim-Stiftung fließt“, sagt Markus Hug. „Die Spenden gehen danach direkt an die Projekte“, sagt der Bereichsleiter Personal und Vorstandsstab: Mehr als 600 der 20.000 Mitglieder sorgen so für eine Spendensumme von rund 32.000 Euro.
Von der Fanphase zur Finanzierung
Das Konzept ist dabei zudem sehr transparent. Vereine, Organisationen und Institutionen aus der Region können Projekte einreichen, die sie mit bis zu 5.000 Euro fördern lassen möchten. Die Stiftung überprüft anschließend die Bewerber. Rund 8 bis 15 kommen jährlich zusammen, die sich mit einem Video, Bildern und Text auf der Plattform der Bank vorstellen. In der sogenannten Fanphase müssen die Projekte 50 Menschen als Unterstützer mobilisieren. „Wir wollen nur Geld geben, wenn die Ideen auch eine gewisse Relevanz für die Öffentlichkeit haben“, begründet Markus Hug diesen Schritt. Gelingt das, bestimmen in der Finanzierungsphase die Mitglieder über die Verteilung der Spenden. „Nur wer sein Spendenziel erreicht, wird auch finanziert, wobei die Initiatoren auch noch Geld dazugeben können“, erklärt Markus Hug. Die Erfolgsaussichten sind recht hoch: Im vergangenen Jahr wurden zum Beispiel acht von zwölf Projekten unterstützt, in insgesamt drei Runden bisher 30 Initiativen, zum Beispiel aus den Bereichen Sport, Inklusion, Kunst oder Natur.
Die „Mitgliedschaft mit Herz“, die bei der Innovationswerkstatt der Akademie Deutscher Genossenschaften in Montabaur als regionalste Förderidee ausgezeichnet wurde, passt gut in das vielseitige Engagement der Volksbank Weinheim, die mit ihrer Stiftung fast 200 Projekte seit dem Jahr 2010 förderte und jährlich rund 100.000 Euro für ihr Engagement ausgibt. Die Inklusion findet Hug dabei besonders wichtig. „Alle Menschen sind gleich, und das können wir bei dem Projekt WegbeREITER gut zeigen“, sagt er.
Julia kann das gewiss bestätigen. Ihr Tag im Reitverein war wieder erfolgreich. Sie konnte viel Zeit mit Elli verbringen. Heute hat sie das duldsame Pferd mehr als eine halbe Stunde gestriegelt und geputzt – und nun geht es in die Sonne, auf den Reitplatz. Eine Jugendliche, die im Verein mithilft, läuft mit ihr zur Aufstiegshilfe, Julia klettert hoch, schwingt ihr Bein über den Pferderücken – und los geht’s. An der Longierleine dreht sie ihre Runden, streckt sogar beide Arme in die Luft und richtet sich auf: ein tolles Erlebnis, das noch ewig so weitergehen könnte.