„Glück und Pech liegen manchmal ganz nah beieinander“

Die Volksbank eG Braunschweig Wolfsburg (Volksbank BraWo) engagiert sich für Kinder und Jugendliche, mit Projekten, Netzwerkarbeit und einer eigenen Stiftung. Wie nötig das auch in einer wirtschaftlich erfolgreichen Region wie rund um Braunschweig und Wolfsburg ist, warum dabei ein Weltrekord entstehen konnte und wie viele Kooperationen das Engagement stärker machen, erzählen der Vorstandsvorsitzende der Bank, Jürgen Brinkmann, der Vorstandsvorsitzende der Volksbank-BraWo-Stiftung, Thomas Fast, und Bank-Marketingleiter Markus Beese im Interview.

Braunschweig Wolfsburg

Herr Brinkmann, gab es für Sie ein Schlüsselerlebnis, das Ihr Engagement für Kinder befördert hat?

Jürgen Brinkmann: Das Thema hatten wir natürlich immer im Blick, aber ich erinnere mich noch genau an den Zeitpunkt, als es für mich noch einmal ganz offensichtlich wurde. Ich hatte über einen Kunden Peter Maffay kennengelernt, mit dem ich mich dann auch privat gut verstanden habe. Wir waren zusammen auf einem Segeltörn – und dabei kommen die meisten irgendwann ins Philosophieren. Was ist wichtig, was soll die Zukunft bringen, wo steht man selbst? Er hat mir von seiner Stiftung erzählt, die jährlich 1.800 traumatisierten Kindern und Jugendlichen eine Auszeit ermöglicht. Das habe ich dann ganz begeistert meinen Kollegen im Vorstand erzählt.

Und die waren sofort bereit, mitzumachen?

Brinkmann: Ja, wir haben direkt losgelegt. Denn eines ist klar: Kinder haben keine Wahl, in welche Familie oder Lebenssituation sie hineingeboren werden. Glück und Pech liegen da manchmal ganz nah beieinander. Wir wollten dazu beitragen, dass sich die Startvoraussetzungen zumindest in kleinen Schritten angleichen lassen und mehr Chancengleichheit existiert. Das ist auch hier in der Region ein großes Thema: Mehr als 20.200 Kinder leben in Armut und haben weniger als 2,80 Euro für Essen und Trinken pro Tag.

Markus Beese, Leiter Marketing bei der Volksbank BraWo: Zur Entstehung, Umsetzung und Größe der längsten Fußgängerstaffel der Welt (Walk4Help) – initiiert von der Volksbank BraWo.

Wie haben Sie Ihr Engagement aufgebaut?

Thomas Fast: Wir haben im Jahr 2005 unsere eigene Stiftung gegründet, um benachteiligten Kindern und Jugendlichen zu helfen. In der Folge haben wir dann festgestellt, dass es ganz viele andere Stiftungen gibt, die die gleichen Themen bearbeiten, aber unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Wir mussten also nicht alles neu erfinden. Mit sechs weiteren Stiftungen haben wir dann das Netzwerk United Kids Foundations gegründet. Getreu unserem Grundsatz: „Viele schaffen mehr“.

Warum macht Sie die Zusammenarbeit stärker?

Brinkmann: Wir haben uns zusammengetan, weil wir glauben, dass wir gemeinsam mehr Aufmerksamkeit erzeugen, mehr Spenden generieren und mehr Kraft auf die Straße bekommen können. Das Kinderhilfswerk United Kids Foundations ist so zu einem Netz geworden, das viele starke Knoten hat. Neben den Stiftungen arbeiten wir außerdem mit Unternehmen zusammen, mit Institutionen, Kommunen, Bürgermeistern, aber auch mit vermögenden Kunden. Und das Netzwerk ist im Laufe der Jahre immer größer geworden.

Wie ist Ihre Stiftung finanziert?

Brinkmann: Wir haben im Jahr 2005 stille Reserven aus unserer Beteiligung an der DZ BANK aufgelöst und davon 10 Millionen Euro als Kapital in die Stiftung gegeben. Wir haben dann durch weitere Zustiftungen das Kapital erhöht, mittlerweile sind es 30 Millionen Euro. Zusätzlich haben wir mit kreativen Ideen Spenden gesammelt. Wir haben zum Beispiel dazu aufgefordert, dass 1.000 Menschen jeweils 1.000 Euro geben sollten, um auf 1 Million Euro Spenden zu kommen – am Ende haben wir nur mit dieser Aktion 2,7 Millionen Euro erreicht.

Im vergangenen Jahr haben Sie dann einen Weltrekord aufgestellt. Worum ging es dabei?

Markus Beese: Wir haben den Walk4Help organisiert, bei dem wir die längste Fußgängerstaffel der Welt auf die Beine gestellt haben. Um einen Weltrekord zu erzielen, hätten wir 5.000 Menschen jeweils 8 Kilometer laufen lassen müssen. Wir haben es aber geschafft, dass fast 12.000 Runden mit insgesamt 52.000 Kilometern gelaufen wurden. Das war ein Riesenerfolg.

Jürgen Brinkmann, Vorstandsvorsitzender der Volksbank BraWo: Wie sich das Engagement vor Ort entwickelt hat. Warum Chancengleichheit gerade für Kinder und Jugendliche so wichtig ist. Und: Warum in Sachen Engagement gemeinsam einfach mehr geht.

Was hat das Ganze eingebracht für Ihre Hilfsprojekte?

Beese: Mit dem Walk4Help ist es uns gelungen, eine Allianz gegen Kinderarmut hier in der Region zu schmieden und das Thema zu platzieren: in unserem gesamten Geschäftsgebiet, in Braunschweig, Wolfsburg, Peine, Salzgitter und im Landkreis Gifhorn. Auf der finanziellen Seite waren wir ebenfalls sehr erfolgreich. Zunächst einmal musste jeder Teilnehmer ein Startgeld von 25 Euro bezahlen. Dazu haben wir 170 Unternehmen aus der Region zusammengebracht, die uns unterstützt haben. Außerdem gab es Großspender, die bis zu fünfstellige Beträge gegeben haben. Insgesamt sind so 1,148 Millionen Euro zusammengekommen. Abgesehen davon war die mediale Aufmerksamkeit für das Thema sehr groß.

Für die Bank bedeutet das sicherlich viel Arbeit.

Beese: Das Projekt hatte eine Vorbereitungszeit von über zwei Jahren. In der heißen Phase zwischen Januar und Mai waren aus dem Marketing-Bereich drei Kollegen komplett damit beschäftigt. Wir haben ja nicht mehr oder weniger als ein riesiges Familienfest organisiert, mit Foodtrucks, Bühnen und Spielen für die Kinder. Aber das ist eigentlich nicht das Wesentliche. Viel wichtiger war, dass die gesamte Bank hinter dem Projekt gestanden hat. Alle Mitarbeiter in den Geschäftsstellen, die Direktoren vor Ort, die Firmenkunden- und Individualkundenberater, sie alle haben sich für den Walk4Help eingesetzt und jeden Tag ihre Ansprechpartner davon überzeugt, sich zu engagieren – indem sie spenden, unsere 2.500-Euro-Supporterpakete kaufen, mitlaufen oder das Projekt einfach immer weitertragen. Von unseren 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern waren bestimmt drei Viertel mit dabei. Ich allein habe eine Gruppe von 20 Leuten aus dem Dorf, in dem ich wohne, mobilisiert, die mitgelaufen sind.

Was passiert nun mit dem Geld?

Fast: Zunächst einmal fließt es in die Volksbank-BraWo-Stiftung, die diese operativen Mittel für unsere Projekte in der Region verwendet. Diese haben sich auch beim Walk4Help vorgestellt, auf einem Markt der Möglichkeiten, was das Engagement für die Spender und die Teilnehmer noch einmal anschaulicher gemacht hat. Mit dem Geld wollen wir auch Projekte, deren Förderung ausläuft, verlängern und verstetigen.

Wir haben zudem eine gute Verbindung zu RTL und zur RTL-Stiftung Wir helfen Kindern, die uns im vergangenen Jahr und auch 2018 in ihren Spendenmarathon aufgenommen haben. Dabei konnten wir noch einmal mehr als 850.000 Euro für zwei Projekte sammeln, die auch in unserer Region helfen. Eines davon ist zum Beispiel brotZeit von Uschi Glas, das nun bis mindestens 2023 gesundes Frühstück an Grundschüler verteilen kann, die so etwas zu Hause nicht bekommen. Das Projekt wird an neun Schulen in der Region angeboten und soll auf 20 Grundschulen ausgeweitet werden.

Organisieren Sie neben der Zusammenarbeit mit anderen Stiftungen auch eigene Projekte?

Fast: Ja, zum Beispiel den Sport-Oskar. Viele Kinder bewegen sich einfach viel zu wenig, weil ihnen der Zugang zum Sport fehlt. Wir schaffen es, rund 1.200 Kinder einen Vormittag in Bewegung zu bringen, an dem sie einen Parcours aus verschiedenen Stationen durchlaufen und dabei natürlich auch von uns versorgt werden. Was mir wichtig ist: Es zählt dabei nicht der Leistungs-, sondern der Teamgedanke. Und wenn man die freudigen Kinderaugen gesehen hat, dann weiß man, dass man alles richtig gemacht hat. Das gilt genauso oder noch mehr für unsere Weihnachtsinitiative.

Thomas Fast, Bankdirektor der Volksbank BraWo und Vorstandsvorsitzender der Volksbank-BraWo-Stiftung: Zur Entstehung, Entwicklung, Zielen und Projekten der Stiftung.

Worum geht es dabei?

Fast: Wir schenken Kindern etwas zu Weihnachten, die sonst nichts bekommen würden. Dafür organisieren wir den Kauf der Geschenke, packen sie selber ein und bringen sie zu den Kindern nach Hause. Das hat mit 69 Kindern angefangen, mittlerweile sind wir bei fast 900. Die Adressen bekommen wir, und da wird unser Netzwerk wieder so wichtig, zum Beispiel von den Fördervereinen der Schulen.

Wie hat sich die Stiftung im Laufe der Jahre entwickelt?

Fast: Rasant, anders kann ich das nicht ausdrücken. Wir haben ganz klein angefangen, mit Förderanträgen für Kinder in der Region und sind dann über unser Netzwerk gewachsen. Wir haben 1.051 Anträge seit 2005 bearbeitet und über 400 davon genehmigt, mit einem Gesamtvolumen von 23 Millionen Euro. Enthalten sind hier 70 groß angelegte Projekte mit prominenten Kooperationspartnern wie Franziska van Almsick, Uschi Glas, Peter Maffay, Henry Maske, Felix Neureuther oder der Cleven-Stiftung und immer mit Kindern unserer Region. Damit haben wir schon eine ganze Menge getan, um unter anderem die Kinderarmut in der Region zu lindern.

Wie nachhaltig ist Ihre Arbeit?

Beese: Bei den vielen Kindern, die von uns profitiert haben, können wir natürlich nicht immer nachvollziehen, was aus ihnen geworden ist. Wir haben aber rund 66.000 junge Menschen erreicht, denen wir etwas mitgeben konnten. Uns ist wichtig, dass wir dabei Projekte anbieten, die von kleinen Kindern bis zu jungen Erwachsenen reichen – und so begleiten wir viele über einen langen Zeitraum, in dem sich vieles zum Guten wenden kann.

Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

Brinkmann: Für den 15. Geburtstag von United Kids Foundations haben wir den LupoLeo-Award ausgeschrieben, mit dem wir herausragendes soziales Engagement im Kinder- und Jugendbereich in ganz Deutschland belohnen. Dafür haben wir insgesamt 100.000 Euro ausgelobt. Beworben haben sich dafür rund 350 Projekte. Wir wollen den Preis dauerhaft vergeben – und damit unser Netzwerk und das Engagement für Kinder und Jugendliche stärken.

Kurzinterview

Drei Fragen an: Monika Schmidt,
Leiterin der EngagementZentrum gGmbH der Volksbank BraWo



„Wir ermöglichen es vielen, sich für die Allgemeinheit zu engagieren“

Monika Schmidt ist Leiterin der EngagementZentrum gGmbH, einer gemeinnützigen Tochtergesellschaft der Volksbank BraWo. Seit der Gründung 2015 unterstützt das Zentrum Privatpersonen und Unternehmen bei ihrem gesellschaftlichen Engagement, wie beispielsweise der Gründung von Stiftungen.

Frau Schmidt, die Volksbank BraWo hat neben ihrer eigenen Stiftung und dem Kindernetzwerk United Kids Foundations ein EngagementZentrum gegründet. Was hat es damit auf sich?

Monika Schmidt: Neben dem Thema Kinder, das wir so intensiv bearbeiten, wissen wir natürlich, dass es auch ganz andere Problemfelder gibt. Auch da wollen wir auf der Basis unserer Erfahrungen Unterstützung anbieten. Mit unserem EngagementZentrum ermöglichen wir es vielen Menschen, sich für die Allgemeinheit zu engagieren.

Was sind Ihre genauen Aufgaben?

Schmidt: Wir sind im Jahr 2015 mit drei Säulen gestartet: Wir geben erstens Schulungen für gemeinnützige Themen in Präsenzveranstaltungen und Webinaren, informieren zu Stiftungsgründungen, zu Fundraising und Fördermöglichkeiten – beraten also in allen Bereichen, die mit Stiftungen zu tun haben. Zweitens helfen wir, sowohl selbstständige Stiftungen zu gründen, die durch einen Vorstand vertreten werden und eigene Projekte aktiv umsetzen, als auch unselbstständige Stiftungen, bei denen wir auch als Treuhänder aktiv sind. Und drittens verwalten wir Stiftungen.

Wie wird Ihre Arbeit nachgefragt?

Schmidt: Wir wachsen stetig – und wollen auch größer werden, wobei die Akquisition von Stiftungen immer ein sensibles Thema ist. Die Motivation der Stifter ist in den allermeisten Fällen persönlich, es sind oft ältere Menschen, die etwas weitergeben, Spuren hinterlassen und Gutes tun wollen. Die Erkenntnis ist immer wieder, dass der Staat nicht alles leisten kann. Die Gesellschaft braucht Engagement, gerade auch im Ehrenamtsbereich. Wir können dabei helfen, und das ist eine wirklich spannende und ausfüllende Aufgabe.