Im Rahmen einer sehr großen und vielschichtigen Kooperation realisierte die VR Bank Westküste zusammen mit dem Nationalpark Wattenmeer in bisher 25 Schulen und 4 Kitas der Region die Errichtung didaktisch und gestalterisch hochwertiger Nationalpark-Ecken. Sie begeistert die Jüngsten damit für die nähere Umgebung, verbindet theoretische Erkenntnisse mit praktischen Erfahrungen im Watt und sensibilisiert nachwachsende Generationen für die Schutzbedürftigkeit dieser wertvollen Landschaften sowie für die Auswirkungen des Klimawandels vor Ort.
Plötzlich ist die Aufregung groß. „Ein Krebs!“, ruft Kira und bückt sich runter zur kleinen Pfütze, die sich auf dem Watt gebildet hat. Mats und Lotta sind ebenfalls unten. Sie verfolgen das kleine Tier, das sich schnell seitwärts durch das niedrige Wasser bewegt, mit ihren Fingern. So richtig trauen sich die drei und ihre fünf Mitschülerinnen und -schüler aber nicht, den Gliederfüßer anzufassen. Sie haben Angst, dass er sie zwicken könnte. Evelyn Schollenberger dagegen lächelt, greift mit ihrer Hand vorsichtig zu und nimmt das kleine Tier hoch. „Das ist eine Strandkrabbe, toll, dass ihr sie direkt gesehen habt“, sagt die Mitarbeiterin der nationalparkverwaltung Wattenmeer. „Stellt euch mal schnell in eine Reihe“, sagt sie zu der kleinen Gruppe der Klaus-Groth-Schule. Eigentlich wollte sie die Grundschüler aus Husum direkt zum Priel führen, der in knapp 100 Metern Entfernung im Watt liegt, direkt vorm Badestrand Fuhlehörn auf Nordstrand, einer Husum vorgelagerten Halbinsel. Aber nun startet spontan eine Aktion: „Wir machen nun eine Krabbenautobahn. Legt eure Hände nebeneinander und lasst die Krabbe ganz langsam von Hand zu Hand krabbeln.“
Baustein für die Zukunft der Region
Was so spielerisch daherkommt, ist für Evelyn Schollenberger ein Baustein für die Zukunft der Region. „Wir stellen fest, dass sich immer weniger Kinder im Watt auskennen, weil sie sich weniger in der Natur aufhalten als früher. Dabei ist es so wichtig, dass sich der Nachwuchs, der vielleicht in Zukunft verantwortlich für unsere Region sein wird, auch mit dem Watt beschäftigt.“ Dabei geht es nicht nur um Naturwissen, sondern auch darum, dass der weltweit einzigartige Naturraum, der auch zum Weltnaturerbe ernannt wurde, eine wichtige Funktion hat. „Durch den Klimawandel kommen große Herausforderungen auf uns zu, weil wir die Küste an seine Auswirkungen anpassen müssen. Und dabei gilt es natürlich auch, die Belange der Natur mit im Blick zu behalten“, sagt Evelyn Schollenberger.
Kinder für den Schutz des Wattenmeers stark machen
Sie vermittelt dieses Wissen im Rahmen des Kooperationsprogramms „Nationalpark-Kita und Nationalpark-Schule“, das Einrichtungen in der Region unterstützt, Kinder und Jugendliche für das Wattenmeer zu begeistern und sie auch zu motivieren, sich für seinen Schutz starkzumachen. Deswegen ist es besonders wichtig, den Kindern die Natur früh nahezubringen. „Wer so etwas schon in der Kindheit positiv wahrnimmt und wertschätzt, wird als Erwachsener ebenfalls achtsam mit der Natur umgehen“, ist sich Evelyn Schollenberger sicher. „Die Kinder beschäftigen sich dabei auch mit Themen wie der Vermüllung der Meere, was sie stark bewegt. So können wir altersgerecht ein Bewusstsein schaffen.“ Gleichzeitig vermittelt sie, dass das Wattenmeer ein Lebensraum auf den zweiten Blick ist: „Die Kinder müssen ein bisschen detektivisch vorgehen und wenn wir sie dann darauf hinweisen, was sie alles entdecken können, dann wird es richtig spannend und aufregend.“
Wattwürmer und Sandhäufchen
Im Watt funktioniert das heute hervorragend. Die Kinder laufen weiter, mit dem Blick auf den Boden gerichtet, auf dem Tausende kleiner Sand-Spaghettihäufchen zu sehen sind. „Was ist das denn wohl?“, fragt Evelyn Schollenberger. „Würmer?“, ruft Anton, der gerade auf eines der kleinen Häufchen mit seinen nackten Füßen getreten ist. „Nein, die leben ja gar nicht, sondern sind aus Sand“, sagt er dann. „Du hast Recht“, antwortet ihm Evelyn Schollenberger, „aber es hat dennoch etwas mit Würmern zu tun, mit Wattwürmern genauer gesagt.“ Mit einer Forke buddelt sie vorsichtig ein Loch und zieht danach schnell einen zehn Zentimeter langen Wurm aus dem aufgelockerten Schlick. „Der hat den Sand gefressen, weil er dadurch seine Nährstoffe bekommt, und danach wieder ausgeschieden. Das sind dann diese Häufchen, die aus gereinigtem Sand bestehen.“
Nach einer weiteren halben Stunde kommt langsam das Wasser zurück. Die Kinder gehen Richtung Strand, bis sie in einer weiteren Wasserpfütze eine große Muschel finden. „Weiß jemand, was das ist?“, fragt Evelyn Schollenberger wieder. „Eine Muschel?“, sagt ein Mädchen. „Ja, aber was für eine?“ Als sich niemand meldet, hilft Ann-Kathrin Holling weiter, die neben Nadine Falten die Gruppe begleitet. Die Grundschullehrerinnen haben sich bisher zurückgehalten. „Eine Auster“, sagt sie und Evelyn Schollenberger nickt. „Genau, das ist eine pazifische Auster, die hier gar nicht heimisch ist, aber sich seit Jahren in der Nordsee ausbreitet.“
Nationalpark-Ecken: Theorie trifft Praxis
Die Kinder haben enorm viel gelernt und als sie wieder zurück in der Schule sind, wenden sie ihr Wissen direkt an. Sie sitzen um einen Tisch in der Nationalpark-Ecke, die im Rahmen des Kooperationsprogramms entwickelt wurde. Ann-Kathrin Holling und Nadine Falten sind wieder dabei. Die beiden haben sich für die Arbeit mit den Kindern weitergebildet, indem sie an Workshops und Netzwerktreffen mit Evelyn Schollenberger teilgenommen haben. In den Nationalpark-Ecken sind keine Inhalte vorgegeben, sodass die Kinder ihre Ausstellung selbst mit Texten, Bildern und Basteleien gestalten können. „Wir arbeiten mit den Kindern an verschiedenen Funden, die sie aus dem Wattenmeer mitgebracht haben“, sagt Ann-Kathrin Holling, während sie neben dem Tisch kniet, um den sich die Kinder geschart haben. „Sie bestimmen nun zum Beispiel die Auster, die sie gefunden haben, zeichnen sie ab, erstellen einen Steckbrief oder schreiben eine Geschichte dazu.“ Das Wissen tragen sie zudem weiter: „Wir wollen das den anderen Kindern in der Schule ebenfalls präsentieren, damit diese von der Begeisterung angesteckt werden.“
„Ich war total begeistert“
Zur Nationalpark-Ecke gehören zudem Elemente, mit denen sich die Kinder spielerisch mit dem Meer und seinen Bewohnern beschäftigen können – wie zum Beispiel Blanko-Tafeln, die ganz individuell beklebt und beschriftet werden können, oder Karten für Memory-Spiele, die die Kinder selbst gestalten dürfen. Nach einer Stunde sind die Kinder immer noch mit Feuereifer bei der Sache. Deswegen merken sie auch gar nicht, dass Christian Remnitz neben ihnen steht und zuschaut. Der Filialleiter der Hauptstelle der VR Bank Westküste in Husum ist zu Besuch. Die Bank unterstützt die Nationalpark-Kitas und -Schulen seit vielen Jahren. Christian Remnitz ist beeindruckt. „Ich war total begeistert, als ich heute hier reinkam, weil ich gesehen habe, wie intensiv sich die Kinder mit der Nationalpark-Ecke beschäftigen und die Lehrerinnen dies vorbereiten“, sagt er. „Ebenso toll finde ich, dass sie mit den Gruppen rausfahren ins Watt, bei jedem Wetter. Das ist bei uns in Nordfriesland ja auch manchmal ein bisschen kälter und windiger“, ergänzt er lachend.
Vom Strandkorb zum Sponsoring
Angefangen hatte die Zusammenarbeit zwischen dem NationalparkService in Tönning und der VR Bank Westküste mit jeweils einem Strandkorb für die Schulen und Kitas, in den eine Hörstation mit Klängen aus dem Wattenmeer eingebaut ist. Die Kinder sitzen gern darin, entspannen sich und lernen gleichzeitig, indem sie auf die Knöpfe drücken, die die Geräusche abspielen. Es folgten die Grundausstattungen für die Nationalpark-Ecken. Nun sind für die kommenden drei Jahre jeweils 35.000 Euro vereinbart, die in neue Materialien fließen sollen. Insgesamt konnten seit 2013 über 9.000 Kinder in 25 Schulen und 4 Kitas mithilfe ihrer Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher sowie verknüpft mit Exkursionen ins Watt ihre Heimat besser kennenlernen. Die Spende ergibt für Christian Remnitz deswegen auch enorm viel Sinn. „Wir als Bank vor Ort sind natürlich stolz auf unser Wattenmeer mit den unzähligen Lebensräumen, die es bietet – und dass wir die größte Wattfläche auf der ganzen Welt vor der Haustür haben.“ Deswegen sei es wichtig, dass die Kinder sich damit beschäftigen können. „Wir werden das Projekt deshalb auch weiterhin unterstützen, weil wir überzeugt davon sind, dass die Kinder davon profitieren und sich in der Zukunft hoffentlich für unser Wattenmeer einsetzen werden.“